DIE ENTWICKLUNG DER MODERNEN KLEINBILD-SLR-KAMERA

Update 15. Nov. 2006   (c) Frank Mechelhoff



PRAKTIFLEX (1939) - CONTAX S (1948) - EXAKTA VX (1954) - PENTAX (1957)

3 frühe SLRs


1.) PRAKTIFLEX


Praktiflex

1919 gründen Benno Thorsch und Paul Guthe in Dresden die K.W. Kamera-Werkstätten Guthe & Thorsch. Mit einer besonders flachen Planfilmkamera, der "Patent-Etui" hat man großen Erfolg. 1928 zieht man von der Zinzendorfstr. 48 in die Bärensteiner Str. 30 und beschäftigt nun 150 Mitarbeiter, die 100 Cameras pro Tag fertigen. 1931 wird die erste Spiegelreflexcamera gebaut (einäugige 6x6 Rollfim-SLR mit Metallschlitzverschluß), Mitte der 30'er der modern gestylte Nachfolger "Super-Pilot".
Da beide Firmengründer jüdischer Abstammung sind, müssen sie Nazi-Deutschland 1938 verlassen. Sie haben aber Glück und finden mit dem amerikanischen, deutschstämmigen Charles A. Noble einen Geschäftsmann der bereit ist sein eigenes Fotografisches Werk gegen die Kamerawerkstätten Charles A. Noble (wie es nun heisst) einzutauschen.

KW Pilot 6x6 Der neue Besitzer ahnt insbesondere in dem von Benno Thorsch und Alois Hoheisel fertiggestellten Entwurf einer neuen Kleinbild-Spiegelreflexcamera ein gutes Geschäft. Bisher gibt es nur eine einzige Kleinbild-SLR auf dem Markt: Die Kine-Exakta der Ihagee Werke (ebenfalls in Dresden), aber diese Camera ist recht groß und kostet in der einfachsten Ausführung 200 RM - sehr viel Geld zur damaligen Zeit, fast 1 1/2 Durchschnitts-Monatslöhne (und teurer als eine 6x9 Messucher-Rollfimcamera einer Top-Marke wie Zeiss-Ikon oder Voigtländer). Kleinbild ist noch etwas für betuchte Fotografen; einen Vergrösserer braucht man ja auch noch! (bei Rollfilm kann man sich mit Kontaktabzügen behelfen die man zur Not mit Durchlicht  im Badezimmer anfertigen kann)

Die "Praktiflex" wird 1939 auf der Leipziger Frühjahrsmesse gezeigt (Warenzeichen geschützt, aber keine Patente!). Der Schlitzverschluss funktioniert ähnlich wie bei der Leica. Blitzsynchronisation, Selbstauslöser oder Langzeitenwerk gibt es nicht (Verschlusszeiten 1/500-1/20s und "B").

Die Camera ist kleiner als die Cine-Exakta und 1/3 leichter - soviel wie man heute noch bei einer SLR für "durchschnittlich" ansieht. Wegen der einfacheren Konstruktion beträgt der Preis nur 120 RM - halb so teuer wie die billigste LEICA...

Anders als die Cine-Exakta mit Bajonettanschluss, haben die Objektive der Praktiflex einen Schraubgewinde. M39 ist von Leica belegt also wählt man M40. 1947 wird die Sowjetische Militäradministration befehlen ein vereinheitlichtes Schraubgewinde zu produzieren, die Geburtsstunde von M42. Die der Praktflex nicht unähnliche, etwas kleinere japanische Asahiflex wird 1952 noch mit M37 starten. Trotz der im Prinzip simplenifle Konstruktion bietet die Praktiflex ein Schmankerl: sie ist die erste SLR mit Rückkehrspiegel, d.h. der Spiegel wird durch Auslöserdruck gehoben, dann läuft der Verschluß ab, und mit Loslassen des Auslösers kommt der Spiegel wieder herunter. Das Prinzip ist noch nicht technisch verfeinert, mit Zwangskupplung wie bei der Asahiflex-II, aber der Weg in die Zukunft ist aufgezeigt!

Schneider 10,5cmSchneider-Kreuznach Xenar f:4,5 f=10,5cm für Praktiflex (M40) von 1939 - vermutlich dieselbe Konstruktion wie das bekannte Mittelformat-Objektiv Die Liste der Standardobjektive für die günstige Praktiflex liest sich wie das who-is-who der Hersteller deutscher Spitzenoptik der Vorkriegszeit:
  • Victar 1:3.5 F=5cm Optische Werke Ludwig, Dresden
  • Anastigmat Victar 1:2.9 F=5cm Optische Werke Ludwig, Dresden
  • Xenar f:2.8 F=5cm Schneider Kreuznach
  • Xenar f:2.6 F=5cm Schneider Kreuznach
  • Xenon f:2 F=5cm Schneider Kreuznach
  • SOM Berthiot Paris Flor 1:2 F=50
  • Tessar 1:3.5 f=5cm Carl Zeiss Jena
  • Tessar 1:2.8 f=5cm Carl Zeiss Jena
  • Biotar 1:2 f=5.8cm Carl Zeiss Jena

(Carl Zeiss Linsen noch alle ohne "T" Vergütung)
Praktiflex


Praktiflex

Praktiflex
Mit "Praktiflex" und "Praktica" zu Weltruhm  
 
Charles A. Noble

Das Gerücht war bösartig, und Max Seydewitz hat es in die Welt gesetzt. In seinem Buch "Die unbesiegbare Stadt" unterstellte er dem Niedersedlitzer Kameraproduzenten Charles Noble, er habe das Zeichen zur Zerstörung Dresdens gegeben und in seiner Villa San Remo das grauenhafte Schauspiel der auflodernden Flammen und den Zusammensturz der kostbaren Kulturdenkmäler genossen.  Familie Noble bangte am 13. Februar 1945 wie Hunderttausende Dresdner im Luftschutzkeller um Besitz und Leben. Charles Nobles Sohn John, damals 20 Jahre alt, hisste beim Einmarsch der Sowjets auf "San Remo" die US-Flagge. Am 5. Juli wurden Vater und Sohn verhaftet und im berüchtigten Todeslager Mühlberg interniert. Über Buchenwald gelangte John Noble in den sibirischen Gulag Workuta. Sein Vater, 1952 aus Waldheim entlassen, bemühte sich über zahlreiche Petitionen, den Sohn frei zu bekommen. Das gelang 1955, nachdem Noble die Presse mobilisiert und Präsident Eisenhower sich für die Freilassung eingesetzt hatte, Charles A. Noble war noch viele Jahre als Berater in der Fotoabteilung bei General Motors tätig. Er starb 1983 in Detroit. Sir John kehrte nach 50 Jahren in die Stadt seiner Jugendzeit zurück und begann das Wagnis, auf einem übermächtigen Markt seine Kameras unterzubringen.

S. Thiele

1939 werden etwa 3.000 "Praktiflex" produziert; die Firma zieht zum dritten Mal um, nun in die Bismarckstrasse 56 in Dresden-Niedersedlitz. 1940 werden rund 5.000 Praktiflex gebaut, dann erzwingt die Kriegswirtschaft die Drosselung der Produktion für zivile Güter. Das Rohmaterial wird immer schlechter; dies sieht man den Cameras bald an. Chrom wird zur Mangelware, stattdessen werden die Cameras schwarz lackiert. Bis 1945 wird man etwa 13.000 Praktiflexen hergestellt haben, danach werden als Reparationsleistungen nochmals ca. 20.000 Exemplare herausgequetscht.

Praktiflex

Dann wird die Camera zum ersten Mal geringfügig verändert: die Praktiflex -FX (für FX-Blitzsynchronisation). Erkennbarster Unterschied ist nun der Auslöser auf der Vorderseite. Aber was für eine "Weiterentwicklung" ist das ? Man hat den Rückkehrspiegel wegfallen lassen! Außerdem sieht die Camera fast so schlecht aus wie in der Kriegsproduktion! Und leider wird sich auch später, mit der ersten PRAKTICA, nicht viel zum besseren ändern. Weder bei den Rohstoffen, noch den Features: Kein Rückschwingspiegel, kein Filmschnellspannhebel... das beste ist noch das M42 Schraubgewinde. Auch der Verkaufs-Flop PRAKTINA wird ihre Abkunft von der Praktiflex nicht verleugnen können.

Von der Praktiflex (beide Modelle) werden von 1939 - 1949 insgesamt fast 60.000 Stück produziert - sie wird damit ebenso erfolgreich verkauft wie die erste Kleinbild-SLR der Welt, die Kine-Exakta, die zwischen 1936-1948 auf 70.000 Stück kommt. Etwas mehr wären angesichts des günstigeren Preises zu erwarten gewesen, aber wahrscheinlich wegen des Krieges unmöglich. Immerhin werden von der ersten PRAKTICA (praktisch eine Praktiflex mit Synchronisation, M42 und Langzeitenwerk) zwischen 1949-1952 nochmals über 62.000 Stück , und von der Praktica FX (die immer noch auf demselben Entwurf basiert) von 1952-1957 95.000 Stück verkauft. Im Ganzen also gar nicht mal schlecht Ihr Entwurf, Herr Thorsch und Herr Hoheisel!



2.) CONTAX-S (CONTAX-D)
Contax D

Während LEICA schon vor dem Krieg teuer ist (Leica III mit Elmar 3.5/5cm 275 RM) kostet die beste Vorkriegs-Kleinbildkamera, nämlich die CONTAX von Zeiss-Ikon, einfach ein Vermögen: 470 RM  für die Contax-III (mit eingebautem Selen-Belichtungsmesser; sieht damit einer SLR mit Prisma ziemlich ähnlich). Das Spitzenobjektiv Sonnar 1.5/50mm kostet stolze 225 RM Aufpreis!
Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an die erste SLR aus dem Hause Zeiss-Ikon an deren Konstruktion bereits im Krieg gearbeitet wird
("Spiegel-Contax" oder "Syntax"). Der Bombenangriff auf Dresden vernichtet jedoch alle Prototypen. Während das Dresdner Stammwerk in Trümmern liegt wird in Stuttgart in Windeseile eine "neue" Zeiss-Ikon gegründet - es geht mehr um den wertvollen Markennamen als wirklich um die Produktion konkreter Cameras! Für's erste baut man mal die Vorkriegs- Contax Messucherkamera mit geringen Veränderungen weiter. Die Konstruktion ist zwar neu (einfacher, robuster und etwas kleiner), und sie ist damit noch besser als die Leica-III, aber man erkennt es äußerlich kaum. Und dann unterlässt man leider jegliche Modellpflege, vermarktet sie als "die Bewährte" als ob die Cameraentwicklung urplötzlich zu einem Ende gekommen wäre -- während die Konkurrenz aus Wetzlar und Japan mit Siebenmeilenstiefeln vorbeizieht...
Zurück hinter den "eisernen Vorhang" (der damals noch recht durchlässig ist) nach Dresden. Der Konstrukteur Wilhelm Winzenburg (1895-1972) und Walter Henning vollenden dort die erste CONTAX SLR und zeigen sie auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1948 - die westdeutschen ZEISS-Werke fallen darüber in eine Schockstarre
! Die Camera soll 475 USD kosten auf dem Exportmarkt - über ein Drittel teurer als eine LEICA, eine selbstbewusste Ansage!
Und was für eine tolle, hübsche Camera das 1948 ist: nicht grösser oder schwerer als die CONTAX Messuchercamera - sie würde noch heute als kompakte SLR durchgehen -  und mit fest eingebautem Prisma. Endlich ein seitenrichtiges Bild für den Fotografen!
Die Contax-S ist einfach revolutionär! Da nimmt man selbst in Kauf dass das Sucherbild zu den Ecken hin schrecklich dunkel wird, noch kein Rückschwingspiegel vorhanden ist, und die Verschlusszeiteneinstellung mit dem Rädchen irgendwie merkwürdig (und störanfällig) ist. Das M42-Schraubgewinde ist auch nicht so elegant, aber bitteschön: fast alle Objektive der Firmen Carl Zeiss Jena, Meyer Görlitz und anderer lassen sich verwenden! Bloß die Objektive der Messsuchercameras natürlich nicht weil sie zu "kurz" sind. Und immer mehr Firmen bauen M42 Objektive, bald auch westdeutsche und japanische. M42 wird zu einem Weltstandard!
Der Schlitzverschluss ist LEICA-ähnlich - offenbar fürchtet man den langen Arm der Patentanwälte aus Solms hinter dem "Eisernen Vorhang" nun weniger als in der Vorkriegszeit - aber besser zugänglich für Reperaturarbeiten.
Doch zunächst dauert es über ein Jahr bis die Camera in Produktion geht, dann gibt es juristische Namensstreitigkeiten. Und dann kommt einfach kaum echte Modellpflege in Gang.
1956 die eigentlich einzige echte Weiterentwicklung: camerabetätigte Innenauslösung der Springblende. Vorher gab es, zB. an der Exakta Varex, die Objektive mit speziellen, eher umständlichen Auslöser-Aufsätzen (s.g. "Druckblende"), die sich trotzdem, auch für die westdeutsche Edixa, bis Ende der 60'er Jahre halten können.

Contax D

Dennoch ist 1957, acht Jahre nach ihrem Produktionsbeginn, die Camera in folgenden Punkten nicht mehr up-to-date:
Man kann sagen dass die Springblenden-Innenübertragung 1956 die letzte Innovation der DDR-Cameraindustrie ist. Danach geht es kontinuierlich bergab, vom Weltmarktführer in Sachen Qualität  rutscht Camerabau aus Dresden ab ins Mittelfeld. Zwischen 1949 und 1962 werden von der Baureihe insgesamt 187.000 Stück hergestellt.

Contax _ Pentax

- Fortsetzung: (Teil 2) Ihagee Exakta Varex - Asahi Pentax
- ASAHIFLEX - vom Dresdner Camerabau beeinflusst
- Objektiv-Designs der 30er Jahre
- DEUTSCHE Camerahersteller - wie sie gegen die Japaner verloren

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